Über Ethnien und Grenzen
Von Reinhold Hartmann 18.03.2024
Wer nach Gambia kommt weiß, die Amtssprache ist Englisch. Und dennoch, stellt man verwundert fest, dass nicht wenige Gambier, besonders die älteren, die Sprache der ehemaligen „Kolonialherren“ gar nicht sprechen oder verstehen. Die alltägliche Kommunikation verläuft in den angestammten Sprachen. Und davon beherrscht der Gambier meist zwei bis drei der wichtigsten: Mandinka, Wolof, Jola (Djiola) oder Fula.
Über die Begrüßung in seiner eigenen Sprache und auf die Frage nach dem Nachnamen des anderen ergibt man sich zu erkennen, zu welcher Volksgemeinschaft man gehört. Danach findet sich sehr schnell die gemeinsame gesprochene Sprache.
Dies hat zur Folge, dass ein Jola, wenn er in die Casamance reist, so heißt die Region im Süden Senegals, nicht Französisch, sondern sich auch dort in seiner eigenen Sprache verständigen kann. (siehe Landkarte)
Die von den Kolonialmächten gezogenen Grenzen stellen sind politischen Interessen geschuldet. Die Menschen lassen sich davon nicht beeinflussen. Sie besuchen ihre Familien über Staatsgrenzen hinweg, lassen sich teilweise dort nieder, Kinder besuchen die Schule im anderen Land, als wären sie schon immer da.
Als ich hörte, dass an „unserer“ Grundschule in TambaKunda 12% Migrantenkinder unterrichtet werden, dachte ich an aktuelle Flucht oder Vertreibung. Wurde aber mit einem Lachen aufgeklärt, dass es schon immer saisonale Migrationsbewegungen gab.
Waren es früher die Viehhalter, die auf der Suche nach Weideland und Wasser durch die Subsahara zogen, so sind heute die Gründe in urbanen Berufsfeldern zu suchen, wie Handel und Dienstleistung.
Die von den ehemaligen Kolonialmächten gezogenen Grenzen haben sich bis heute nicht im Bewusstsein der Bürger verfestigt. Familien im Einzelnen wie ethnische Gruppen im Allgemeinen bilden transregionale und grenzüberschreitende und/oder religiöse Netzwerke.
So hat die Mobilität in Westafrika eine sehr lange Tradition, die bis ins 8. Jahrhundert hineinreicht. Teils Jahre von der Familie entfernt, zogen Händler von Zuhause durch andere Länder, um hier Waren zu verkaufen. Deren Erlös wurde oft in andere Güter an anderen Orten investiert, um so Erträge zu maximieren.
Auf der Suche nach Chancen zur Existenzsicherung sind Mobilität und Migration durch ihre lange Tradition prägend für Westafrika. Spontan dachte ich eine Erklärung gefunden zu haben, warum so viele Migranten zu uns nach Europa kommen.
Auf dem Migrationsportal fand ich jedoch diese sehr aufschlussreichen Zahlen:
In der Zeit von 1990 bis 2020 stieg der Anteil der in Nordamerika lebenden westafrikanischen Migranten von 3% auf 10%.
Im gleichen Zeitraum stieg der Anteil derer in Europa von 12% auf lediglich 19%.
Interessant ist aber, dass im Jahr 2020 zwei von drei Migranten in einem anderen westafrikanischen Land lebten.
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