
Weibliche Genitalverstümmelung
Am 23.11.2024 führten wir in Gambia für 35 Personen einen Aufklärungsworkshop durch.
Wie kam es dazu? Warum ist die Zeit für eine Veränderung reif?
Der weltweite Aufschrei, der im Frühjahr 2024 begann, mündete in eine Erleichterung, als am 15. Juli 2024 bekannt wurde, dass das Gambische Parlament mit überwiegender Mehrheit das Gesetz vom 01.02.2016, in dem das Verbot der weiblichen Genitalverstümmelung festgeschrieben wurde, bestätigte und gar verschärfte.
(Siehe auch unseren Artikel vom Juli 2016, mit dem wir das Thema damals angerissen hatten aber als "Weiße" keinen Ansatz fanden, etwas zu verändern. Wir sprachen damals noch von Beschneidung, doch heute wissen wir, es ist eine Verstümmelung und eine klare Menschenrechtsverletzung).
Die alten konservativen Männer, die am 08.03.2024 (genau am Internationalen Frauentag, welch ein Hohn) mit ihrem Antrag am 08.03.2024 das Gesetz kippen wollten, taten sich damit einen Bärendienst. Sie "riefen die Geister, die sie nun nicht mehr loswerden". Viele, gerade auch junge gebildete Frauen gingen auf die Straße und demonstrierten dagegen während der Parlamentsdebatte.
Nun endlich, wird dieses Thema nicht mehr tabuisiert. Man kann heute in Gambia darüber offen sprechen.
Diese Gunst der Stunde nutzten wir, um einen Aufklärungsworkshop für all unsere Lehrer an unseren Schulen durchzuführen. Auch luden wir befreundete Vereine ein, ihre Mitarbeiter und Mitarbeiterinnnen zu entsenden. So kamen alle 35 eingeladenen Personen am 23. November 2024 einen ganzen Tag zusammen, um den Ausführungen der drei Redner zu folgen. Die Themenblöcke waren eingeteilt in
Gesundheit und Wohlbefinden
Religion und Tradition
Recht
Zunächst waren wir nicht glücklich, dass alle Sprecher männlichen Geschlechts waren. Am Tag selbst aber, erkannten wir, dass in dieser (noch) sehr patriarchalisch geprägten gambischen Gesellschaft den Männern doch noch eine richtungsweisende Bedeutung zukommt. Es war also gut so!
Das Workshopkonzept hatte die deutsche Organisation "Shine Light in Girl's Education" entwickelt und schon einige Male erfolgreich durchgeführt. Ebrima Fadera, von dem wir noch an anderer Stelle hören werden, organisierte den Tag. Die Anwesenden erhielten ein üppiges Frühstück und Mittagessen und bekamen obendrein noch 500 Dalasi Fahrgeld.
Zu den einzelnen Blöcken
Gesundheit und Wohlbefinden
Hamadie Sowe, National Aids Secretary and Nurse Coordinator
Er erzählte, was er so als Nurse Coordinator alles erlebte und brachte es auf den Punkt: "FGM hat keinerlei medizinischen Vorteil. Zero benefit, im Gegenteil". Die Frauen würden ihr Leben lang darunter leiden. Die anwesenden Frauen nickten schweigend. Schockierend die Zahl: 73% der gambischen Frauen seien beschnitten! Er brachte Bilder, die nichts für schwache Nerven waren und daher hier auch nicht öffentlich gezeigt werden. Die Rituale seien barbarisch. Bis zu 100 Mädchen würden oft an einem Tag mit demselben Messer beschnitten, keine Sterilisation, keine Anästhesie.
Mr. Sowe nahm kein Blatt vor den Mund. Gerade auch zur Fraktion der anwesenden Männer sprach er sehr eindrücklich, welchen Schmerzen ihre Frauen beim Geschlechtsverkehr, bei der Geburt und ihr ganzes Leben lang ausgesetzt sind.
Religion und Tradition
Alasanna Gitteh, Islam-Gelehrter und Professor an der Universität in Gambia
Er fragte die Anwesenden (und das nach den schrecklichen Bildern des Vorredners), wer für diese Praxis sei?
Zehn Personen hoben die Hand, unter allen auch die einzige Frau (21 Jahre alt). Auf die Frage, warum bist du dafür, war die Antwort: "Das hat mit unserer Religion und Tradition zu tun." Ein anderer meinte: "Unsere islamische Religion sagt, man sollte es nur ein wenig tun, weil es Frauen vor zu vielen Lustgefühlen schützt." Mr. Gitteh fragte nach: "Was meinst du mit 'nur ein wenig'?" Nach kurzem Schweigen kam als Antwort: "Ah, ich hörte darüber!"
Und dann zerpflückte er die Befürworter. Gott hat uns das "Buch" gegeben und einen Verstand. Glaubt nicht was ihr hört, was euch die Leute sagen. Lest selbst, hinterfragt und recherchiert. Aber wir Gambier sind tendenziell zu faul, selbst zu denken. Wir machen es uns einfach und folgen dem, was die Leute sagen.
Es gibt im Islam feste Mandate, das sind unsere Pflichten und die müssen wir tun. Von FGM ist keine Rede davon. Und im Islam gibt es nichts, was man tun soll, wenn es der Gesundheit schadet. Wenn ein Doktor euch rät, nicht zu fasten, da ihr daran sterben könntet, ihr fastet aber dennoch und sterbt tatsächlich dadurch, gleicht das einem Suizid und das ist eine große Sünde. FGM gefährdet die Gesundheit und das Leben von Frauen - unterlasst das bitte.
Recht
Lamin Kebbeh, Regierungsbeauftragter "Gleichstellungs- und Kinderschutz"
Er stellte klar, dass "The Women's (Amendment) Act aus 2015 die FGM-Praxis klar untersagt. Es steht dort "shall not". Die Leute verwechseln das mit "should not", was eine Kann-Bestimmung wäre. Und er machte deutlich: Eine Person, die aktiv FGM praktiziert (Beschneiderin) oder es veranlasst (Eltern) muss mit 50.000 Dalasi (etwa einem Jahresgehalt) und/oder drei Jahren Gefängnis rechnen. Die anwesenden Männer schrien auf, dass das zu viel sei. "Das was einem Kind an lebenslangem Leid zugefügt wird, kann gar nicht hoch genug bestraft werden.", war seine Antwort. Und er warnte: Wer FGM künftig praktiziert schafft quasi einen lebenslangen Beweis. Es geht noch weiter: Wenn ein Kind bei dem Ritual gar stirbt, können die initiierenden Personen dafür lebenslang ins Gefängnis wandern.
Die neue Gesetzgebung nimmt auch die inaktiven mit in die Pflicht. Wer von einer bevorstehenden Verstümmelung "Wind bekommt" und nicht dagegen einschreitet oder dies meldet, macht sich mitschuldig.
Danach brachte er noch etliche Folien und Beispiele, die einen tiefen Eindruck hinterließen.
In späteren Feedbackgesprächen mit Anwesenden, "saß" dieser Beitrag besonders. Die Meisten fürchten das Recht mehr als die Religion, so das Fazit.
Den Hintergrund, die rechtliche Basis für das Verbot und die Konsequenzen bei Verstößen, haben wir in diesem PDF zusammengestellt.
Auswertung
Ebrima Fadera gab zu Beginn und am Ende des Workshops einen Fragebogen aus. Die Auswertung ergab (Auszug):
80 % der TN äußerten in der Nachbefragung ein gesteigertes Bewusstsein für die Gesundheitsrisiken von FGM.
Die Lehrer erkannten die Notwendigkeit an, Schüler und Gemeinden über die Gefahren von FGM aufzuklären.
Fast die Hälfte der TN war sich der gesundheitlichen Risiken nicht bewusst. Nach der Veranstaltung sagten 96,7% der TN, sie würden nun über die gesundheitlichen Risiken von FGM Bescheid wissen
80% der TN stimmten zu, dass religiöse und kommunale Führer eine wichtige Rolle bei der Bekämpfung von FGM spielen.
Die Veranstaltung löste intensive Diskussionen aus, die die TN dazu brachten, ihre eigenen Vorurteile und kulturellen Praktiken kritisch zu hinterfragen.
90% der TN gewannen neue Erkenntnisse über die rechtlichen Aspekte von FGM, wie die Nachbefragung ergab.
Die TN bekundeten ihr Interesse an der Organisation von Folgeveranstaltungen, um ihr Verständnis für den rechtlichen Schutz zu vertiefen.
Die meisten TN planen, das Wissen in ihren Gemeinden zu verbreiten, was den potenziellen Multiplikatoreffekt der Schulung verdeutlicht.
Die gesamte Auswertung (in Deutsch) ist in diesem PDF zusammengestellt.
Schlussfolgerung
Die Ergebnisse der Umfrage nach der Schulung zeigen, dass die Schulung sehr erfolgreich war. Die TN und TN haben ihr Wissen und ihr Selbstvertrauen gestärkt und engagieren sich für die Aufklärung über GBV (Gender Based Violence) und FGM. Das Training erfüllte oder übertraf die Erwartungen der überwiegenden Mehrheit, wobei die TN besonders die rechtlichen und ethischen Hinweise schätzten.
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