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Land und Leute

Beschneidung in Gambia

von Reinhold Hartmann (Stand Juli 2016)


Geschichtliche Einordnung

Männliche Beschneidung
Die männliche Beschneidung wird heute weltweit toleriert und vielfach mit hygienischen Gründen erklärt. Dabei ist der Ursprung im Alten Testament zu finden (1. Buch Mose 17,11), das in dem Ritual eine besondere Bindung zu Gott versprach und darin ein Unterscheidungsmerkmal zu anderen Völkern sah.

Während für Juden noch heute das Alte Testament das Buch der Wahrheit ist, „entwickelten“ die Christen mit Jesus das Neue Testament und später die Moslems mit Mohamed und dem Koran ihre eigene Ausrichtung. Christen sehen in der Beschneidung kein Heil, während im Koran die Moslems mit der Beschneidung „den Weg Abrahams fortsetzen“ (Sure 16,123).

Noch heute werden jüdische Jungen eine Woche nach der Entbindung beschnitten. Im Unterschied zum Koran, der eine zeitliche Vorgabe, wann eine Beschneidung zu erfolgen hat, nicht vorschreibt.

Weibliche Beschneidung
Für die weibliche Beschneidung, die medizinisch als Genitalverstümmelung anzusehen ist und für gebärende Frauen lebensgefährlich sein kann, gibt es im Alten und Neuen Testament sowie im Koran keine Grundlage. Auch können die Ursprünge weder zeitlich noch geografisch eindeutig bestimmt werden. Vermutet werden darf, dass diese Praxis im antiken Ägypten entstand, da sie auf einem Papyrus im Jahr 163 v. Chr. erwähnt wurde und dort Mumien gefunden wurden, die Beschneidungsanzeichen vorwiesen.

Heute finden diese Verstümmelungen meistenteils in moslemischen Gesellschaften statt, obwohl es einen Zwang zur Frauenbeschneidung im Koran nicht gibt. Mohamed selbst ließ weder seine Frauen noch seine Töchter beschneiden. Dennoch wird ihm dieses grausige Erbe zugeschrieben. Warum?

Über einen Hadid (eine Erzählung) erfahren wir, dass der Prophet in Mekka einer Frauenbeschneiderin begegnete und sie gewähren ließ mit den Worten: „Die Beschneidung von Mädchen bemisst den Wert Mädchens. Aber übertreibe nicht, da diese Art der Beschneidung von den Ehemännern am meisten gewünscht ist und das Gesicht der Frau auf bestmögliche Art und Weise strahlen lässt. Wenn du diese Operation ausführst, entferne nicht den ganzen Kitzler … Die Frau soll Befriedigung erleben, von der ja auch ihr Mann profitiert“.

Diese Aussage scheint die Legitimation für konservative Ärzte und orthodox islamische Religionswissenschaftler zu sein, mit der Beschneidung Mädchen und Frauen zu Sittsamkeit, Treue, Ehrgefühl und emotionalem Gleichgewicht hinzuführen. Verworfenheit und Prostitution sollen so vermieden werden.


Warum wird die weibliche Genitalverstümmelung gerade in so vielen afrikanischen Ländern durchgeführt?

Viele der fast afrikanischen 3.000 Ethnien haben freiwillig, oder unter dem Zwang der Missionierung, den Islam oder das Christentum als Hauptreligion angenommen. Eine vollständige Assimilierung hat jedoch nie stattgefunden. Noch immer gibt es die traditionellen Volksreligionen. Sie flossen mehr oder minder in die Hochreligionen ein, und doch werden sie weiterhin parallel zu ihnen praktiziert.

Weil diese Glaubenskonstrukte von uneingeweihten Dritten kaum verstanden werden und sich oft nur schwer einordnen lassen, müsste man sie eher als „afrikanischen Religionen auf islamischer oder christlicher Basis“ bezeichnen.


Was sind die Besonderheiten:

  • Mythen: Wir kennen diese aus unserem Kulturkreis ebenso. Denken wir nur an die schwarze Katze, die von links nach rechts über die Straße läuft. In Westafrika spielen z.B. Zwillinge eine wichtige Rolle. Die afrikanische Mythologie ist allgegenwärtig.
  • Gemeinschaft: Die Gemeinschaft kommt stets vor dem Einzelnen. Das gilt für Familien, in denen die Eltern eine absolutistische Rolle spielen, wie auch für das dörfliche Miteinander. Was die Gemeinschaft tradiert hat, kann der Einzelne nicht verändern. Und wenn, so droht im der Ausschluss aus dem Verbund.
  • Ahnen: Die Ahnen leben in den Familien weiter. Sie schützen und helfen als wache Schutzgeister im Alltag.

  • Magie: Der Glaube an Zauberei und Hexerei ist heute noch stark ausgeprägt. Mit ihr können sich Menschen Schicksalsschläge erklären. Talismane sind zum Schutz vor und zur Abwehr von dem Bösen weit verbreitet. Hat man ein Problem, so geht man zum Medizinmann (Voodoo, Marabout) der einem hilft und seine Kraft manchmal auch gegen andere gerichtet ist.

  • Religiöse Akteure: Durch Abstammung, Alter oder gesellschaftliche Position erlangen Personen jene Autorität, die sie für das Wohlergehen der Gemeinschaft einsetzen (sollen). Sie sind dann Priester, Regenmacher, Wahrsager, Medizinmänner, Beschneiderinnen und vieles andere mehr.

  • Riten: Sie gibt es für allen Lebenssituationen wie Schwangerschaft, Geburt, Initiation, Ehe, Tod, Begräbnis, ....


All dies mag der Nährboden sein, warum das Ritual der Mädchenbeschneidung gerade in Afrika so weit verbreitet ist. Die meisten der weltweit beschnittenen mehr als 150 Millionen Mädchen und Frauen, die dieses Schicksal erfahren haben, leben in Afrika und noch heute kommen jährlich drei Millionen Mädchen hinzu.


Wie ist die Situation in Gambia

In Gambia, dem kleinsten afrikanischen Land, gibt es etwa neun nennenswerte Stämme. Die Grenzen des Landes wurden im Rahmen der Kolonialisierung in der Auseinandersetzung zwischen Engländern und Franzosen gezogen. Die ethnischen Grenzen blieben davon unberührt.

95% der Gambier sind Muslime. Die weibliche Genitalverstümmelung wird unterschiedlich praktiziert:

So sind bei den Sarahule 98%, bei den Mandinga 97%, den Jolas 87%, den Serer 43% der Frauen beschnitten. Selbst bei den Wolof, die traditionell dieses Ritual nicht kennen, sind es noch 12,5% (Quelle Terre des Femmes). Dies rührt daher, dass der gegenseitige Einfluss der Kulturen und das oben beschriebene Gemeinschaftsverhalten die Familien in Zugzwang bringt. Wenn Mädchen einer Dorfgemeinschaft einem anderen als dem Hauptstamm angehören, fühlen sich die Eltern genötigt, dem Ritual zuzustimmen, um ihr Kind nicht ausgeschlossen zu sehen.

So kommt es, dass auf dem Land nahezu alle Mädchen beschnitten werden, während in der Anonymität der Stadt nahezu die Hälfte der Frauen unversehrt bleibt.

Zwar hat Gambia 1997 einen nationalen Aktionsplan gegen Beschneidung von Frauen entwickelt.

Berichten zu Folge, die zwischen Herbst 2015 und Juni 2016 erschienen sind, hat der damalige Präsident ein komplettes Verbot weiblicher Genitalverstümmelung für sein Land angekündigt. Er sagte auf einer Versammlung im November 2015, dass er die Praxis weiterhin erlaubt hätte, wenn die weibliche Genitalverstümmelung (FGM = Female Genital Mutilation) im Koran erwähnt sei:

"FGM ist eine traditionelle Praxis. Wir hätten sie weiter erlauben können, wenn es eine religiöse Praxis wäre, aber das ist sie nicht. Weibliche Genitalverstümmelung ist in Gambia verboten von Kartong bis Koina", sagte er.

Er machte auch deutlich, dass er Jahre damit verbrachte, Nachforschungen über FGM aus einer religösen Perspektive anzustellen, aber es zeigte sich, dass die Praxis jeglicher religösen Grundlage entbehrt. Der damalige Präsident weiter: "Seit 21 Jahren habe ich den Koran studiert und religöse Führer konsultiert, ob weibliche Genitalverstümmelung im Koran erwähnt wird, aber ich habe dort nichts darüber gefunden."

Am 1. Februar 2016 wurde vom gambischen Paralament ein Gesetz gegen die Beschneidung von Mädchen verabschiedet.

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Gambia liegt mit 76% der Weiblichen Genitalverstümmelung im oberen Bereich der Skala.

Quelle: UNICEF (Klicken Sie auf das Bild oder den Link, um den ganzen Bericht zu lesen.)
Female Genital Mutilation/Cutting: A statistical overview and exploration of the dynamics of change


Was ist die Begründung, die wir heute in Gambia hören?

Fragen wir in Gambia nach den Gründen, so ist die oben geschilderte „Geschichtliche Einordnung“ unbekannt. Neben der Tradition, weil es immer schon so gemacht wurde, gibt es keine wirkliche Begründung. Mitunter hört man, dass ein unbeschnittenes Mädchen für einen Mann nicht attraktiv sei und nicht verheiratet werden kann. Dem spricht unserer Meinung nach entgegen, da es traditionell vor der Ehe keinen Sex gibt, daher können Männer die Attraktivität auf Grund dieser „Tatsache“ in aller Regel gar nicht bewerten.

In Gesprächen bestätigt sich auch, dass der Druck, es zu tun, nicht von Männern, sondern von den älteren Frauen, den Großmüttern auf die Töchter übergeht. Junge Frauen können sich diesem gegenüber oft nicht erwehren. So werden die Mädchen zwischen dem zehnten und sechzehnten Jahr, oft auch ohne Einwilligung der Eltern, von älteren Tanten oder Großmüttern zur Beschneiderin gebracht. Verantwortungsbewusste können sich dem Beschneiden im Busch allenfalls entziehen, indem sie diese unter klinischen Bedingungen, wenngleich sich Ärzte damit am Rande der Legalität bewegen, durchführen lassen.


Ausblick und unsere Möglichkeiten

Insgesamt sind 64% der Frauen in Gambia einer Beschneidung gegenüber positiv eingestellt. Vor zehn Jahren waren es noch 71%. Es ist also ein leichter Rückgang der weiblichen Befürworter zu verzeichnen.

Dennoch ist die Zahl sehr unbefriedigend und wir fragen uns, was wir tun können, um zumindest im Umfeld unseres Wirkens, diese Zahl weiter zu verringern. Auf Grund der festen Traditionen, die wir eingangs aufgeführt haben, ist unser Einfluss nahe Null. Es geht nicht von außen, schon gar nicht von und mit dem Denken der westlichen Welt. Es geht nur von innen heraus.

Das Vertrauen, das wir durch unsere verlässliche Arbeit in den letzten Jahren erlangt werden, erlaubt es uns jedoch, in einer geschützten Atmosphäre, dieses Thema vereinzelt anzusprechen und unsere Gedanken wertfrei dem Traditionsdenken gegenüber zu stellen. Wir erhoffen uns so, ein Bewusstsein gegen diese Praxis, die Frauen entrechtet und gesundheitlich schädigt, zu entwickeln. Wir glauben fest daran, dass Bildung und Aufklärung, die in urbanen Strukturen schon zu einem Umdenken führt, auch in ländlichen Regionen helfen wird, die traditionellen Fesseln dieses Rituals abzustreifen.

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Ein berührender Filmbeitrag, der uns einen besseren Eindruck vermittelt, was Frauen in Afrika durchmachen, wie clever sie sich mehr und mehr durchsetzen und die Gesellschaft verändern, zeigt dieses Video von Kakenya Ntaiya. Der Vortrag dauert nur 15 min und lohnt sich, ihn anzuschauen.

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Bilder sagen oft mehr als Worte: